Theatermacher Milo Rau: „Ich glaube nicht, dass wir in die goldverzierten Säle des 19. Jahrhunderts zurückkehren“
Im Studierendenmagazin ZEIT CAMPUS spricht Milo Rau, Intendant des NT Gent, über die Folgen der Corona-Krise für das Theater: „Ich glaube nicht, dass wir dauerhaft in die großen, goldverzierten Säle des 19. Jahrhunderts zurückkehren werden. Du kannst nicht lüften, alles ist eng, das sind in der Pandemie Todeskammern.“ Jedoch habe er schon immer unabhängig von diesen Räumen sein wollen – und man habe gesehen, wie gut Streams von Aufführungen funktioniert haben. „Bei einer Vorstellung hatten wir 15.000 Zuschauer aus 20 Ländern. Sonst wären 150 Leute aus der Stadt gekommen. Es stimmt nicht, dass abgefilmtes Theater nicht geil ist. Du musst es nur gut anstellen.“
Über seine Zeit als Soziologie-Student an der FU Berlin, die er sich als freier Journalist für die Neue Zürcher Zeitung finanzierte, erzählt Rau: „Damals hat man noch Geld verdient mit Journalismus. Mit einem Text im Monat konnte ich Miete, Steuern und Krankenkasse zahlen. Wenn ich einen zweiten schrieb, war ich der Herrscher über Berlin und hatte Zeit für mein Boheme-Leben.“
Inzwischen hat der 43-Jährige mehr als 50 Stücke, Filme und Bücher veröffentlicht. Er zählt zu den wichtigsten politischen Theatermachern der Gegenwart. Über seinen intensiven Arbeitsstil sagt er: „Es gibt sicher einen depressiven Wesenskern, vor dem ich zu fliehen versuche. An der Arbeit ziehe ich mich schon mein ganzes Leben aus dem Sumpf, der Münchhausen-Trick. Das ist ein großes Glück, aber natürlich auch manisch.“ Für seine Ensembles sei sein Arbeitsstil mitunter schwierig: „Sensiblere Charaktere haben nach drei oder vier Jahren ein Burn-out. Völlig verständlich!“ Doch er habe sich eingestehen müssen, dass es eben kein Spaziergang sei, politisches Theater in Krisen- und Kriegsgebieten zu inszenieren. „Wenn du einen Spaziergang willst, musst du Ibsen am Berliner Ensemble machen“, sagt Rau in ZEIT CAMPUS.
Die neue Ausgabe des Studierendenmagazins ZEIT CAMPUS erscheint am 4. August.
In der Titelgeschichte hat ZEIT CAMPUS „33½ Fragen, die wir uns jetzt stellen müssen“ gesammelt und diese Studierenden, Influencerinnen und Schauspielern gestellt.